Als mein Vater starb, war ich mir mit meinen Geschwistern einig, dass wir aus unterschiedlichen Gründen eher selten das Grab auf dem Friedhof besuchen werden. Keiner wollte regelmäßig dort auflaufen, um gesehen zu werden, um Blümchen zu pflanzen oder diese mit Wasser zu versorgen. Gleichzeitig wollten wir diesen Erinnerungsort sehr persönlich gestalten und nicht einfach den Boden mit einer pflegeleichten Steinplatte versiegeln. Wir fanden einen Bildhauer – Siegbert Altmiks von »grenzstein-art« – dessen Konzept uns überzeugte.


Das Grabmal besteht aus zwei Komponenten. Die eigentliche Grabskulptur ist auf dem Friedhof, die individuellen Erinnerungsorte sind dort, wo wir Angehörige sie haben wollen. Die Grabgestaltung auf der Fläche eines Urnenreihengrabes von 75 auf 75 Zentimetern sind begrenzt. Ebenso lagen auf einem Grundstück noch die beiden Grabsteine der Eltern meines Vaters herum. Er hatte sie sich als Erinnerungssteine gesichert, als deren Reihengräber aufgelöst wurden.

Wohin mit diesen beiden geerbten Grabsteinen, industrielle Massenware aus schwarzen Granit aus den Siebziger Jahren? Warum nicht aus dem vorhandenen Material, den Grabstein gestalten? Das war die eine Idee. Weitere Vorgaben waren, die gefühlte Schwere des Granits aufzulösen und etwas mehr Farbe auf den Friedhof bringen. Dieses Altmaterial zu nutzen, war keine Frage des Geldes, sondern der Achtung unserer Vorfahren.

Im Gespräch mit dem Bildhauer wurde geklärt, was das Material hergibt und wie es bearbeitet werden kann. Mit welchem Material kann es ergänzt werden? Wie werden die Kosten eingegrenzt? Wie gelingt der Balanceakt an der Grenze der Friedhofsordnung? Skizzen und ein verkleinertes Modell machten den Entwurf greifbar.

Die alten Grabsteine

Die Elemente des Grabmals

Die alten Grabsteine wurden zerschnitten, die ursprünglichen Inschriften belassen. Ein Teil des Materials bildet als flacher Bodenstein oder aufgerichtet, als Halt gebende Steinsäule den bleibenden Teil des Grabmals. Diesen besprühte der Bildhauer mit Farbe. Ein etwas größerer Bodenstein zeigt Name und Daten. In den Zwischenräumen der Bodensteine siedeln sich Pflanzen an, die zu einem Teil des Grabmals werden. Den anderen Teil des dunklen Materials schnitt der Bildhauer in längliche Steinstangen. Diese Stangen legten wir lose, ohne feste Ordnung auf die bunten Elemente auf. Sie laden dazu ein, die Trauer nicht nur passiv zu erleiden, sondern selbst aktiv zu gestalten.

Grabgestaltung mit Pflanzen, die sich selbst ansiedeln

Was wir mit den Stangen machen

Wir nehmen diese Elemente nach und nach vom Grab und bringen sie zu anderen Orten. Darunter sind der Geburtsort meines Vaters und einige seiner Lebensorte, sowie die Gräber verstorbener Familienmitglieder auf anderen Friedhöfen. Sie symbolisieren verschiedene Fragmente eines Lebens, die zusammen ein Ganzes ergeben. Im Zentrum des Grabes stehen zwei Glasscheiben mit je sechs Begriffen, die eine besondere Bedeutung im Leben meines Vaters haben. Je mehr dunkle Steine wir vom Grab nehmen, desto leichter und bunter wird das Grabmal. Die Glastafeln mit Worten werden mit der Zeit immer sichtbarer. Andere Stangen sind bei uns zuhause und verbinden den Friedhof mit unseren Lebensorten.

Der Tod als Teil des Leben, das auch scheitern kennt

Lebende und Tote sind miteinander verbunden, wir sind verbunden mit unseren Vorfahren. Tod und Leben sind kein Gegensatz, die Grenze des Friedhofs als Ort der Toten und dem häuslichen Umfeld als Ort der Lebenden wird überwunden. Aus Zerstörung entsteht etwas Neues. Das Schwere der Familiengeschichte wird brüchig, in den Zwischenräumen siedelt sich neues Leben an. Je aktiver wir uns mit den dunklen Seiten des Lebens auseinandersetzen, desto mehr zeigt sich die Buntheit des Lebens.

Was wir nicht bedacht haben, waren die Reaktionen der anderen Friedhofsbesucher aus dem kleinen Ort, von denen natürlich viele unseren Vater kannten. In der Nachbarschaft ist viel Gräberfläche mit Platten versiegelt, andere Gräber sind hübsch gepflegt. Wer die Geschichte des Grabmals nicht kennt, wird sich wundern über diesen ungeordneten Haufen loser Steine und die Pflanzen, die sich unermüdlich den Weg ins Licht bahnen.

Eine frühere reale Nachbarin fragte meine Schwester einmal auf dem Friedhof: „Was ist das denn für ein Scheiterhaufen.“ So mag es aussehen. Und die Bezeichnung passt auch irgendwie. Nicht alles im Leben meines Vaters lief glatt, da gab es auch Scheitern. Doch dabei ist es nicht geblieben und das macht mich froh.

Die Stelen auf dem Friedhof in der früheren Heimat

Auf diese Weise erinnern wir die Toten in meiner Familie. Die bleibende Verbundenheit wird sichtbar, wenn wir – wie geplant – die Orte, zu denen wir Steinstangen getragen haben, auf einer Karte markieren und die Verbindunglinien sehen.

Manche Stangen sind weit gereist, nach Australien, nach Dänemark, in die Türkei, in den Schwarzwald, nach Tschechien – wo drei der Erinnerungsstelen auf einem früher deutschen Dorffriedhof in der Erde liegen. Zwei für die Eltern meines Vaters, die sicher dort begraben worden wären, hätte es Krieg und Vertreibung nicht gegeben. Und eine für meinen Vater, in dessen Herz die Heimat seiner Kindheit immer einen Platz hatte.


Beitragsbilder: Birgit Aurelia Janetzky

Diesen Artikel habe ich 2016 auf meinem Blog der Fachberatung Trauerfeier veröffentlicht und in diesen neuen Blog übernommen.